12.02.23Berlin

"Wir brauchen in Berlin Entscheidungen"

UVB-Präsident Stefan Moschko über den Senat, Gewerbeflächen und Digitalisierung

Berliner Morgenpost: Herr Moschko, Sie sind zu uns in die Redaktion der Berliner Morgenpost an die Friedrichstraße gekommen. Wie finden Sie das, dass die Friedrichstraße jetzt eine Fußgängerzone werden soll?

Stefan Moschko: Die Friedrichstraße ist fast ein Prestigeobjekt von manchen Politikerinnen. Die Entwicklung, die wir jetzt in der Friedrichstraße sehen, ist alles andere als zufriedenstellend. Hier wird keine Rücksicht genommen auf Gewerbetreibende und auf Interessen der Anwohner. Es finden keine Gespräche statt. Und so ist Politik eher eine Demonstration der Macht als das Ergebnis eines Dialogs mit Anwohnern und Geschäftsleuten.

Teilen Sie die Idee, Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigte Bereiche an attraktiven Stellen in Berlin einzurichten?

Das kann sicherlich an der einen oder anderen Stelle Sinn machen. Aber Fußgängerzonen? Das erinnert mich eher an Kleinstädte. Und dort gibt es Fußgängerzonen mit übrigens mäßigem Erfolg. Ich komme aus dem Südwesten Deutschlands, aus dem ländlichen Raum. Wenn Sie heute in eine Fußgängerzone einer kleineren Stadt gehen, dann sehen Sie, dass diese eher aussterben und öde sind. Fußgängerzonen erinnern mich deshalb eher an eine kleinere Stadt als an eine Metropole wie Berlin.

Paris, London, Amsterdam oder auch Kopenhagen, alle diese Städte nehmen den Verkehr an zentralen Stellen raus, geben den Fahrradfahrern mehr Platz, um die Attraktivität der Innenstädte zu steigern. Ist das nicht doch der richtige Weg?

Es spricht nichts dagegen, aber es muss ein schlüssiges Gesamtkonzept vorliegen. Und man muss immer wieder im Dialog, auch gemeinsam mit den Anwohnern, mit den Gewerbetreibenden Lösungen finden. Fahrradwege sind gut, richtig und wichtig, aber sie müssen auch Sinn machen. Das gilt im Übrigen auch für Busspuren. Wir erleben in dem einen oder anderen Bezirk wie etwa Zehlendorf, dass unsinnige Busspuren geschaffen wurden, die kein Mensch braucht. An anderer Stelle macht es wieder Sinn.

"Wir brauchen ein verkehrliches Gesamtkonzept, nicht politische Einzelentscheidungen"

Man sollte also ein städtebauliches und verkehrliches Gesamtkonzept machen und nicht politische Einzelentscheidungen versuchen durchzudrücken.

Sie sind Präsident der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg. Was machen die Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg? Was ist Ihre Aufgabe?

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg sind der Dachverband von 60 Einzelverbänden. Die Einzelverbände gehen von der Metall- und Elektroindustrie, den VME als größter Einzelverband, über das Baugewerbe bis zur Chemieindustrie. Wir  haben bei uns die gesamte Struktur der berlin-brandenburgischen Wirtschaft. Es sind also keine einzelnen Firmen Mitglieder beim UVB, sondern die Verbände. Wir repräsentieren diese Verbände politisch und in gesellschaftlichen Diskussionen und vertreten die Interessen der Mitgliederverbände.

In Berlin gibt es neben dem UVB auch die Berliner Industrie- und Handelskammer, aber auch den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, den VBKI. Ganz schön viel Interessenvertretung.

Es ist die DNA unserer Gesellschaft in der Bundesrepublik, dass es diese Interessenvertretungen gibt. Die IHk sind öffentlich-rechtliche Institutionen, daneben gibt es die Verbände oder Vereine wie den VBKI. Es mag sehr kompliziert sein, aber es ist ein sehr ausgewogenes Spiel der Kräfte – und wir alle sind wichtig als Sprachrohr gegenüber der Politik, aber auch gegenüber der Gesellschaft.

Sprechen Sie sich dann untereinander ab?

Jeder hat sein Aufgabengebiet. Wir tauschen uns aber eng aus und reden auch meistens in derselben Tonalität Richtung Politik. Ich mache ein Beispiel: Der Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg ist als größter Einzelverband Mitglied der  Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. Der VME besteht wiederum aus Betrieben der Metall- und Elektroindustrie in der Hauptstadtregion, die sich freiwillig bei uns organisieren. Für sie – und  das ist ein ganz wichtiger Punkt – führen wir zum Beispiel die Tarifverhandlungen als Teil der Metall und Elektroindustrie in Deutschland, die ungefähr 3,6 Millionen Beschäftigte vertritt. In Berlin und Brandenburg haben wir circa 110.000 Beschäftigte, für die wir in den Tarifverhandlungen sprechen.

Und Sie sind auch Vorstandsvorsitzender des VME und als Vertreter dieses Verbandes dann eben Präsident der Unternehmensverbände geworden. Braucht man Sie?

Ja. Denn wer führt sonst die Gespräche mit den Sozialpartnern, mit der IG Metall, bei den Tarifrunden? Hier geht es um die im Grundgesetz garantierte Tarifautonomie. Daneben bearbeiten wir viele Themen, die nicht nur im Rahmen des Wahlkampfes angesprochen werden, sondern die permanent auf der Tagesordnung der Politik sind – wie etwa die Energiekrise. Wir hatten gerade über die Friedrichstraße gesprochen, bei denen es auch um die Interessen der Einzelhändler, der Hotellerie und des Gaststättengewerbes geht. Auch die Hotellerie und das Gaststättengewerbe sind bei uns Mitglied.

"Wir sind ein Sprachrohr für die Wirtschaft"

Wir vertreten deren Interessen auch gegenüber der Politik – als gemeinsames Sprachrohr, denn man muss die Interessenlagen immer unter einen Hut bringen. Das ist uns aber, glaube ich, bisher ganz gut gelungen. Insoweit ist die UVB eine wichtige Institution, um die Interessen der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg bei der Politik zu vertreten, und dort bekommen wir auch Gehör.

Sie sind auch noch Siemens-Manager. Wie organisieren Sie Ihren Arbeitsalltag – als Siemens-Manager, als VME-Vorstandsvorsitzender und UVB-Präsident?

Es ist manchmal nicht einfach, aber es ist machbar. Ich bin jetzt Anfang 60. Das ist ein Alter, wo man eigentlich auch alle beruflichen Höhen und Tiefen erklommen hat. Insoweit ist es machbar. Im Alter von 40 will man noch Karriere machen, da muss man dann in seinem eigentlichen Beruf Power und auch Zeit einbringen. In einer solchen Lebensphase könnte die Verbandsarbeit schwierig werden. Aber für mich ist das gut machbar, ich bin schon Jahrzehnte in der Personalorganisation bei Siemens, wir sind gut aufgestellt. Auch das Thema Delegation spielt natürlich eine Rolle.

Delegieren ist so oder so ein wichtiges Thema.

Man muss es aber auch können. Sie dürfen nicht ins Kleinklein verfallen. Das heißt, Sie müssen Ihren Leuten vertrauen. Wenn also alles gut organisiert ist und mehrere Dinge gut zusammenkommen, dann funktioniert es. Wenn Sie mich fragen, ob das dann in der Familie immer Freude bereitet, das ist dann wieder was anderes.

Bereitet es der Familie Freude?

Mal so, mal so. Ich hatte mal einen Chef, der hat gesagt, wenn er heimkommt, freut sich der Hund. Und wenn er weggeht, freut sich die Familie. (lacht) Bei mir ist das zum Glück nicht so.

Glück gehabt.

Sie brauchen aber wirklich eine große Toleranz zu Hause. Die Familie, vor allem die Ehefrau müssen das Engagement neben der eigentlichen Berufstätigkeit unterstützen.

Weil viele Termine, die Sie als Präsident oder als Verbandsvorsitzender wahrnehmen müssen, abends stattfinden...

Das sind die berühmten Abendtermine. Da muss man natürlich auch abwägen. Sie könnten von Sonntag bis Samstag jeden Tag Verbandstermine wahrnehmen. Deshalb muss man Prioritäten setzen. Es gibt Firmentermine, die gehen im Zweifelsfall natürlich vor. Ich muss häufig für Siemens nach München, deshalb muss man machmal mit seinen Terminen jonglieren. Die mit am größten Leidtragende ist – neben meiner Frau - dann meine Sekretärin, die versucht, immer alles unter einen Hut zu bringen (lacht). Aber was die Abendtermine angeht: Ich versuche, stets zu einer Zeit wieder daheim ist, um gemeinsam mit meiner Frau den Tag zu beenden. Das ist wichtig.

Wie ist die Lage der Unternehmen in Berlin und Brandenburg – nach drei Jahren Corona-Pandemie, in der Energie-Krise?

Die Lage ist nicht einfach. Konrad Adenauer hatte mal gesagt: Die Lage ist da, die Lage ist immer da und Unternehmen stehen immer vor großen Herausforderungen. In der Tat war die Corona-Pandemie eine Herausforderung – im Übrigen nicht für die Breite der Wirtschaft, sondern vor allem für bestimmte Branchen. Jetzt erleben wir die Energiekrise – auch mit den globalen Herausforderungen, insoweit ist es schon eine schwierige Lage.

"Die Lage ist schwierig"

Wir haben in den letzten Tagen eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft gesehen, bei der 44 Branchenverbände befragt wurden, wie die Stimmung in den Mitgliedsfirmen sei. 39 Verbände haben gesagt, sie ist im Vergleich zum Vorjahr eingetrübt. Nur fünf Verbände haben gesagt, die Stimmung sei besser – das betrifft etwa den Messebau oder den Tourismus.

Was sind denn die wichtigsten Themen für die Unternehmen?

Die Lage ist schon schwierig, aber die Wirtschaft zeigt sich sehr robust. Das sehen wir etwa bei den Arbeitslosenzahlen. Es gilt in der Wirtschaft immer die Formel drei plus fünf. Wir haben drei große Themen, die die Wirtschaft noch länger beschäftigen werden: Digitalisierung, Demografie und Dekarbonisierung. Hinzu kommen fünf andere, aus denen inzwischen vielleicht vier geworden sind. Das sind die Themen Corona, Lieferketten, Inflation, Ukraine-Krieg.

Ein Ende des Ukraine-Kriegs ist leider nicht absehbar…

Der Ukraine-Krieg wird uns noch massiv beschäftigen. Dazu zählen auch die Lieferketten-Probleme. Und wir dürfen die geopolitische Lage – Stichwort China – nicht vergessen. Die Wirtschaft in Berlin und Brandenburg hat sich bisher hervorragend geschlagen. Der Staat hat mit den Unterstützungspaketen, die geschnürt worden sind, dabei geholfen. Aber wir müssen wirklich auch unsere Hausaufgaben machen.

"Digitalisierte Betriebe sind besser durch die Krise gekommen"

So sind etwa die Betriebe, die rechtzeitig auf die Digitalisierung gesetzt haben, viel besser durch die Corona-Krise gekommen als die, die es nicht gemacht haben. Digitalisierung in der ganzen Bandbreite, das ist wirklich ein sehr wichtiges Thema.

Auch die Wirtschaftsinstitute haben kürzlich kritisiert, dass Deutschland bei der Digitalisierung zu wenig vorankommt. Was kann man da in Berlin und Brandenburg tun? Kann man, muss man den Unternehmen klar machen, wie ernst die Lage ist, dass sie bei der Digitalisierung endlich vorankommen müssen?

Die Unternehmen wissen schon selbst, was sie machen müssen. Das steckt ja schon im Wort „Unternehmer“. Aber wir können als Verband Hilfestellung leisten. Wir als UVB bieten gerade den kleinen und mittleren Unternehmen entsprechende Unterstützung an. Wir machen Veranstaltungen oder bringen gezielt Partner zusammen – etwa etablierte Unternehmen und Start-ups. Wir haben so viel Potenzial in dieser Stadt, das müssen auch die kleinen und mittleren Unternehmen nutzen können. Die großen Unternehmen wissen in der Regel schon, was zu tun ist.

Weil sie ihre eigenen Forschungs und Entwicklungsabteilungen haben?

Richtig. Wir müssen für die kleinen Unternehmen Brücken bauen. Im Übrigen ist das Thema Digitalisierung auch eine große Aufgabe für die Stadt – Stichwort Rahmenbedingungen. Wenn Sie da in die Verwaltung reinschauen, sind wir in Berlin nicht gut unterwegs. Es wurde bundesweit einmal beschlossen, dass wir im Jahr 2022 bei sehr vielen Dienstleistungen digitalisiert sein sollten. Da schneiden wir in Berlin leider nicht gut ab.

Eines der großen Probleme in Berlin. Machen Sie deshalb Druck auf die Politik? Sprechen Sie darüber mit dem Wirtschaftssenator, damit es endlich vorangeht?

Der Wirtschaftssenator ist ein Mann, der weiß, wie Wirtschaft funktioniert. Und der Wirtschaftssenator ist voll auf unserer Seite. Das Problem liegt manchmal im Detail – und vor allem darf nicht nur gesprochen werden, sondern es müssen auch Taten folgen.

"Kilometerweit vom Optimum entfernt"

Wir als Wirtschaft brauchen Entscheidungen – etwa bei der Planung von Gewerbegebieten, bei der Digitalisierung.  Im Steuerungskreis Industriepolitik haben wir jetzt entschieden, dass wir für die Gewerbeplanung sogenannte digitale Zwillinge angelegen, damit wir beim Thema Gewerbeflächen versus Wohnflächen vorankommen.

Damit Gewerbe auch in der Stadt seine Räume findet?

Wir müssen das Flächenmanagement besser und professioneller begleiten. Es gibt schon Ansätze bei der Digitalisierung, aber wir sind in vielen Punkten noch kilometerweit vom Optimum entfernt. Eine Anmerkung dazu: Eine Digitalisierung in der Verwaltung ist nicht einfach so zu machen – ich sage das hier auch als Vorstandsvorsitzender der Rentenversicherung Berlin-Brandenburg. Die Rentenversicherung ist ein Haus mit 2000 Beschäftigten, zuständig für über zwei Millionen Versicherte. Wenn Sie dort Prozesse digitalisieren, ist es noch einmal eine größere Herausforderung als bei Mercedes-Benz oder bei Siemens. Dafür müssen Sie die entsprechenden Fachleute haben, und es gibt riesige Datenschutz-Auflagen. Ob die alle so sinnvoll sind, sei dahingestellt. Aber es gibt sie und das führt zu unterschiedlichen Prozessen in den Verwaltungen. Kurz: Es sind große Herausforderungen. Aber wir brauchen die Digitalisierung auch, um einen großen Schritt in der Stadt voranzukommen.

Wir haben in Berlin mit Blick auf Gewerbeflächen die berühmte Berliner Mischung – also auch in der Innenstadt Gewerbe und Wohnen. Dies ist historisch gewachsen, viele Menschen finden das toll. Wenn sie dann aber in einen Kiez ziehen, wollen sie ihre Ruhe und vor allem kein Gewerbe haben, schon gar nicht den Lieferverkehr. Wie löst man das Problem?

Das Problem ist schwierig. Wir haben in der Stadt ein grundsätzliches Problem zum Thema Gewerbeflächen. Wir haben zunächst nicht ausreichend Gewerbeflächen. Wir haben ungefähr noch 300 Hektar, die noch zu entwickeln sind. Es wird also von Jahr zu Jahr schwieriger. Also brauchen wir ein sehr kluges Management. Deshalb ist der digitale Zwilling ein sehr guter Ansatz, weil wir digital sehen können, welche Flächen wir für Gewerbe und welche wir fürs Wohnen brauchen. In Grünheide hat das gut funktioniert…

Sie meinen die Ansiedlung von Tesla im brandenburgischen Grünheide…

Die Ansiedlung von Tesla war nur möglich, weil dort sehr viel Gewerbefläche zur Verfügung stand. Der dortige Bürgermeister hat  jahrelang seine Hand drauf gehalten und gesagt: ,Leute, wir brauchen das auch noch als Gewerbegebiet.‘ Man war dann froh, dass man die Flächen nicht anderweitig verwendet hat. Insoweit gibt es beim Thema Flächen einen großen Spannungsbogen.

"Wohnungsbau und Gewerbeflächen müssen zusammen gehen"

Zum einen ist der Ruf nach Wohnungsbau natürlich ein großes Thema in dieser Stadt. Zum anderen sagen wir aber auch: Die Stadt kann nur funktionieren, wenn wir auch ein gutes Gewerbe haben. Beides gehört zusammen, und deshalb ist die Politik gefragt, auch ein kluges Management ist erforderlich.

Wer soll denn über die Gewerbeflächen entscheiden? Die Bezirke?

Es muss klar gesagt werden, bei wem der Ball im Spielfeld ist. Heute erleben wir oftmals eine Zuständigkeits-Hin- und Herschieberei zwischen einem Bezirk und dem Senat. Das Thema ist im Wahlkampf ja auch wieder aufgerufen worden. Ich hoffe  nur, dass dann auch entsprechende Taten folgen.

Ich habe auch die Befürchtung habe, dass das Thema Verwaltungsreform nach der Wahl das Thema wieder in der Schublade verschwindet, weil es so kompliziert ist, und dass nichts passiert.

Das kann sich die Stadt für die Zukunft nicht mehr leisten. Bei den Gewerbeflächen brauchen wir klare Zuständigkeiten des Landes. Es gibt auch gute Beispiele in anderen Bundesländern, wo die Entscheidung über Gewerbeflächen von oben begleitet und gemanagt wird. Im Zweifelsfall ist das eher Chefsache oder Chefinnen-Sache, als dass man das den Bezirken oder Untergremien überlässt.

Podcast

Dieses Gespräch gibt es auch zum Anhören - als Teil der Podcast-Reihe "Richter und Denker" der "Berliner Morgenpost".
Dazu bitte hier entlang.

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