Wirtschaft sieht Konjunktur und Jobs durch Krieg ernsthaft bedroht
Die Wirtschaft in Berlin und Brandenburg sieht durch den Ukraine-Krieg schwierige Zeiten auf sich zukommen. „Der Angriff Russlands, die Sanktionen, die Unsicherheit, die Lieferketten-Probleme und die explodierenden Preise sind zusammengenommen eine ernsthafte Bedrohung für die Konjunktur. Alle Prognosen für 2022 sind jetzt Makulatur.“ Das sagte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), auf der Jahrespressekonferenz des Spitzenverbands am Mittwoch.
„Der Krieg zeigt auch jüngeren Menschen, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind“, erklärte Amsinck weiter. „Das Land muss bereit und fähig sein, diese Werte zu verteidigen.“
Er würdigte die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in dieser außergewöhnlichen Situation. In vielen Branchen gebe es Initiativen, um die Menschen aus der Ukraine rasch in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt der Region zu integrieren.
Industrie in Berlin und Brandenburg spürt Krise
Von der Krise sei die Industrie viel stärker betroffen als noch in der Pandemie, berichteten die Unternehmensverbände. Das belege eine aktuelle Umfrage des Verbands der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (VME), des größten industriellen UVB-Mitgliedsverbands. Demnach haben fast drei von vier Metallfirmen aus der Region Kundenbeziehungen mit Russland, Belarus oder der Ukraine. Sie exportieren also dorthin oder produzieren vor Ort. In der bundesweiten M+E-Branche hat nur jede zweite Firma so enge Verflechtungen mit der Krisenregion.
53 Prozent der M+E-Unternehmen in Berlin und Brandenburg werden außerdem aus diesen drei Ländern beliefert. Von ihnen gab mehr als jedes zweite an, diese Importe schwer bis überhaupt nicht ersetzen zu können. Bundesweit ist die Abhängigkeit der Unternehmen geringer: 37 Prozent werden von Russland, Belarus oder der Ukraine beliefert, und nur vier von zehn dieser Firmen sehen dazu keine Alternative.
Die Metall-Arbeitgeber rechnen daher mit Problemen für ihr Geschäft. Vier von zehn befragten Firmen erwarten eine sinkende Produktion. Fast 60 Prozent rechnen mit sinkenden Umsätzen, und fast jeder zweite befürchtet einen zurückgehenden Gewinn.
Angesichts der schwierigen Lage müsse die Wirtschaft schnell entlastet werden, forderten die Unternehmensverbände. „Die hohen Energiepreise sind eine Gefahr für unseren Standort. Eine massive Senkung der entsprechenden Steuern und Abgaben würde helfen, Investitionen und Arbeitsplätze zu sichern“, urteilte Hauptgeschäftsführer Amsinck. Dies solle befristet bis Ende 2022 gelten. Konkret schlug er vor, die Energiesteuer auf Diesel, Erdgas und Heizöl auf das EU-weit vorgeschriebene Mindestmaß zu senken.
"Jedes Unternehmen hätte auf einen Schlag einen größeren Spielraum“
Der Preis für staatliche CO2-Zertifikate solle auf null gesenkt werden, die Stromsteuer auf nahe null. „Damit würde Diesel um gut 33 Cent billiger. Erdgas würde um neun Euro je Megawattstunde günstiger, Heizöl um 11 Cent je Liter und Strom um 2 Cent pro Kilowattstunde. Jedes Unternehmen hätte auf einen Schlag einen größeren Spielraum.“
Den geplanten Verzicht auf Kern- und Kohlekraftwerke sieht die UVB kritisch. „Der russische Angriff hat uns klar vor Augen geführt, wie wichtig Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise sind.“ Von nun an müsse vor jeder Abschaltung eines Kraftwerksblocks geprüft werden, ob genügend Erzeugungs-Kapazität auf dem Markt sei. Amsinck verwies auf die Blöcke E und F des Kraftwerks Jänschwalde – sie sollen nach bisherigem Recht im Oktober 2022 und im Oktober 2023 endgültig abgeschaltet werden. „Einen längeren Verbleib in der Sicherheitsreserve sollte die Politik genau prüfen.“
Energie-Embargo hätte unabsehbare Folgen
Ein Embargo auf russische Energie lehnt die Wirtschaft ab. „Das hätte unabsehbare Folgen für unsere Industrie, für die Jobs und für Privathaushalte“, sagte Amsinck. „Wer die Versorgung der Industrie kappt, legt die Axt an das Fundament unseres Gemeinwesens.“
Den Berliner Senat forderte der Spitzenverband auf, jetzt keine neuen Belastungen für die Unternehmen zu beschließen. „Das muss angesichts der neuen Lage Tabu sein. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die die wirtschaftliche Dynamik unterstützen.“ Ein Neustart-Programm, das den von Corona stark belasteten Branchen helfen soll, sei zu begrüßen.
Kritisch äußerte sich die Wirtschaft zu Überlegungen, nur solche Firmen zu unterstützen, die den Vergabe-Mindestlohn von demnächst 13 Euro zahlen. Amsinck: „Die Unternehmen sind durch die Corona-Maßnahmen von Bund und Land unverschuldet in die Krise geraten. Es kann nicht sein, dass sie ein zweites Mal bestraft werden, indem ihnen Berlin Hilfen vorenthält.“