15.09.23Berlin

„Bürokratieabbau ist kein Hexenwerk“

Christian Amsinck im Interview nach 33 Jahren Wirtschaft in Berlin und Brandenburg

Christian Amsinck scheidet aus dem Amt als Chef der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Er blickt zurück auf die turbulente Entwicklung der Hauptstadt: von der Boomtown Berlin über die Strukturkrise bis heute.

Von Alfons Frese

Herr Amsinck, Sie haben in Ihrer Zeit bei den Unternehmensverbänden elf Wirtschaftssenatorinnen und -senatoren erlebt. Wer ist besonders gut in Erinnerung?
Ich habe mit allen professionell zusammengearbeitet, das war meine Aufgabe. Um die Interessen der Wirtschaft vertreten zu können, braucht man eine sachliche Gesprächsebene, und die ist unabhängig von der Parteizugehörigkeit.

War Gregor Gysi nicht Ihr Favorit, weil er 2002 als erster Senator der Linken nach nur fünf Monaten schon wieder weg war?
Die Zeit hat leider nicht gereicht, um ein Arbeitsverhältnis aufzubauen.

Und die übrigen: Haben die Wirtschaftspolitiker etwas von Wirtschaft verstanden?
Zugehört haben alle, von daher kann ich mich überhaupt nicht beschweren. Die Anforderungen an alle Beteiligten haben sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Die 90er Jahre waren extrem hart für die Berliner Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik. Nach 2005 ging es aufwärts.

Auf die Einheitseuphorie und Träumereien von Boomtown Berlin folgte in den 90ern die Strukturkrise und der Verlust von 200.000 Industriearbeitsplätzen.
Die Rahmenbedingungen hatten sich mit dem Abbau der Berlinförderung über Nacht verändert. Und was in anderen Ballungsräumen selbstverständlich ist, das gab es hier nicht: Eine Verflechtung von Stadt und Land mit Zulieferbeziehungen und eine funktionierende Infrastruktur inklusive Flughafen. Das musste alles aufgebaut werden. Gleichzeitig wurde die Berlinförderung von heute auf morgen eingestellt.

Die Bundesregierung unter Helmut Kohl sah dafür keine Notwendigkeit mehr.
Ich habe die Berlinförderung immer als Nachteilsausgleich gesehen, viele Betriebe hatten ihre Produktion an der Förderpolitik ausgerichtet. Gerade in der Industrie war eine Umstellung von jetzt auf gleich aber nicht möglich. Das war sehr hart für eine Stadt, deren Wirtschaft stark durch den jahrzehntelangen Insel-Status West-Berlins geprägt war.

Die Entscheidung von 1991, Berlin wieder zur Hauptstadt zu machen, hatte Kohl und Finanzminister Theo Waigel glauben lassen, dass die Entwicklung ein Selbstläufer wird.
Da war viel Wunschdenken dabei, denn Berlin brauchte viel Zeit, um zusammenzuwachsen und auch wirtschaftliche Stärke gemeinsam mit dem Umland zu entwickeln. Überschätzt wurde auch der Zustand der Unternehmen in Brandenburg. Die Folgen der Jahrzehnte von 1945 bis 1990 ließen sich nicht in ein paar Jahren korrigieren. Berlin-Brandenburg konnte nicht im Standortwettbewerb mit westdeutschen Ballungsgebieten mithalten. Heute ist das anders.

Was brachte den Umschwung?
Im Laufe der Zeit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, wie wichtig eine starke Wirtschaft für eine starke Stadt ist. Das war nicht immer so. Es gab nach der Vereinigung einige, auch in den Medien, die meinten, Berlin brauche keine Wirtschaft, keine Industrie, und könne gut als Regierungssitz von öffentlichen Dienstleistungen leben.

Inzwischen gibt es sogar einen industriepolitischen Kreis beim Regierenden Bürgermeister.
Den Steuerungskreis Industriepolitik (Skip), für den wir sehr geworben haben, gibt es seit 2010. Auch Klaus Wowereit, der die Marke Berlin im Ausland geprägt hat, hat die Relevanz der Industrie für die gesamte Wirtschaft schließlich erkannt. Heute freuen wir uns, dass unser Claim „Starke Wirtschaft, starke Stadt“ von der Politik aufgegriffen wird.

"Das Wahlergebnis im Frühjahr ist ein Beleg dafür, dass viele Berlinerinnen und Berliner nicht zufrieden sind."

(Christian Amsinck, scheidener UVB-Hauptgeschäftsführer)

 

Große Teile der Bevölkerung sind mit ihren Verstaatlichungs- und Enteignungswünschen nicht von einer starken Wirtschaft überzeugt.
Immerhin sind zuletzt beim Volksentscheid viele unserer Einschätzung gefolgt, dass eine vollständige Klimaneutralität bis 2030 nicht möglich ist. Und die Enteignung von Wohnungseigentümern bringt keine einzige neue Wohnung. Bauen ist immer teurer und komplizierter geworden. Wenn die Politik noch Regularien und Vorschriften draufsetzt, wird bezahlbarer Wohnraum unmöglich. Bausenator Gaebler will die Bauordnung entschlacken, das kann ein wichtiger Beitrag für mehr Wohnungsbau sein.

Gefährdet die Wohnungsnot die wirtschaftliche Entwicklung?
Gerade auch für junge Menschen, Azubis und Studenten, brauchen wir einfachen, funktionalen und bezahlbaren Wohnraum. Ich hoffe auf den neuen Senat. Das Wahlergebnis im Frühjahr ist ein Beleg dafür, dass viele Berlinerinnen und Berliner nicht zufrieden sind und eine Politik erwarten, die die Probleme der Stadt löst.

Erstmals seit 22 Jahren sitzt die CDU wieder im Roten Rathaus, doch Kai Wegner macht sozialdemokratische Politik: Er befürwortet eine Ausbildungsumlage und lehnt die Schuldenbremse ab.
Er setzt die richtigen Akzente, doch die Ausbildungsumlage hilft niemandem. Viel wichtiger ist gute Bildungspolitik. Mit dem geplanten 11. Pflichtschuljahr geht der neue Senat in die richtige Richtung, damit Jugendliche nicht dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verlorengehen.

Im Vergleich zu den Berliner Kapriolen dürfte Ihnen die bodenständige Politik in Brandenburg deutlich mehr zugesagt haben.
Die Diskussionen laufen dort definitiv anders – meist ein wenig ruhiger und sachlicher. Brandenburg hatte nach der Wende kaum Industrie, anders als Sachsen, und hat sich über den Aufbau der Infrastruktur vieles erarbeitet. Wir als Unternehmensverbände haben uns wie auch der Deutsche Gewerkschaftsbund sehr früh für eine enge Zusammenarbeit der beiden Länder eingesetzt und eine entsprechende länderübergreifende Organisation gebildet. Das hat sich bewährt.

Das war indes kein Modell für die Länderfusion, die 1996 an den Brandenburgern scheiterte.
Vielleicht war das Veränderungstempo zu hoch. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind ja dem früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe in vielen Punkten gefolgt, an dieser Stelle aber nicht. Historisch bedingte Ressentiments der Brandenburger gegen die Berliner, etwa aufgrund der herausgehobenen Stellung Ost-Berlins als Hauptstadt der DDR, haben auch eine Rolle gespielt.

Sie selbst sind seit 2008 Mitglied im Aufsichtsrat der Wirtschaftsförderung Brandenburg.
Die machen das sehr gut. Über viele Jahre hat sich das Team auch über kleine Investitionen gefreut und inzwischen zum Beispiel ein richtiges Cluster der Elektromobilität aufgebaut. Das ist das Ergebnis harter Arbeit und erklärt sich nicht allein mit Tesla.

Wird die AfD zum ostdeutschen und damit auch Brandenburger Standortmalus?
Die aktuellen Umfragen sehe ich vor allem als Reflex auf die Politik. Die etablierte Politik auf der Bundes- wie auf der Landesebene muss überzeugende Angebote machen und sich um die konkreten Probleme der Menschen und der Unternehmen kümmern. Wenn das gelingt, dann hat die AfD kaum eine Chance. Sie hat als Partei inhaltlich nichts anzubieten und häufig nur schlichte Parolen. In Berlin kam die AfD zuletzt nur auf neun Prozent.

Vielleicht wegen der guten Wirtschaftsentwicklung.
Tatsächlich hat die Stadt seit 2005 einen positiven Lauf. Der Tourismus entwickelte sich und große Firmen entschieden sich mit ihren neuen Aktivitäten plötzlich für Berlin: Hier gab es qualifizierte Arbeitskräfte, bezahlbare Wohnungen, hervorragende Wissenschaftseinrichtungen und Kultur. Deshalb siedelten zum Beispiel BASF und Mercedes hochwertige Unternehmens-Dienstleistungen in Berlin an. Hinzu kam der Boom der Start-ups und der Digitalwirtschaft, hier liegt Berlin bundesweit vorne. Die Wahrnehmung der Stadt veränderte sich, viele junge Menschen wollten und wollen nach Berlin.

Die Arbeitslosenquote liegt aktuell mit 9,4 Prozent aber noch immer deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Aber wir kommen von fast 20 Prozent! Heute haben wir rund 700.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als 2005. Damals waren es eine Million Arbeitsplätze, heute sind es fast 1,7 Millionen. Und die Einwohnerzahl ist im gleichen Zeitraum um 400.000 gestiegen. Das ist eine herausragende Entwicklung.

Und die setzt sich fort?
Die Voraussetzungen dafür sind gut. Bei Technologien für die digitale Produktion wie KI oder 3D-Druck ist Berlin sehr gut aufgestellt. Die größten Herausforderungen sind der Wohnungsbau und die Bürokratie.

2007 gab es das große Projekt „Servicestadt Berlin“, das bessere Dienstleistungen für Bürger und Betriebe versprach. In jenem Jahr erreichte Finanzsenator Thilo Sarrazin auch deshalb einen Haushaltsüberschuss, weil der öffentliche Dienst geschrumpft worden war. Davon hat sich die Stadt bis heute nicht erholt.
Die Verschuldung war dramatisch. Da Berlin lange über seine Verhältnisse gelebt hat, gab es keine Alternative zum harten Sparkurs. Mit einer wachsenden Wirtschaft wurde das besser. Heute haben wir eine Steuerdeckungsquote des Landeshaushaltes von 80 Prozent, das ist doppelt so hoch wie vor 15 Jahren. Ein Beispiel mehr dafür, wie wichtige eine prosperierende Wirtschaft ist.

Zieht der aktuelle Bundestrend Berlin in die Rezession?
Wir stehen immer noch besser da als der Bundesdurchschnitt, aber die Stimmung ist zurzeit bundesweit nicht gut. Die Politik ist gefordert. Wenn zu wenig investiert wird, dann müssen die Investitionsbedingungen besser werden, zum Beispiel durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten. Und Bürokratieabbau ist auch kein Hexenwerk. Der Berliner Senat muss die Berliner Themen angehen: Bildung, Verwaltung, Infrastruktur, öffentliche Sicherheit.

Und die Unternehmensverbände? Wie geht es weiter ohne Christian Amsinck?
Mein Nachfolger Alexander Schirp wird das sehr gut machen, das ganze Team der UVB ist hervorragend. Diese Mannschaft aus 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unseren Büros in Berlin und Brandenburg hat mich über die ganzen Jahre getragen. Und unser Präsident Stefan Moschko engagiert sich in hervorragender Weise für die Sache der Wirtschaft.

Zum "Tagesspiegel"

Zum Interview auf tagesspiegel.de

Pressekontakt

Carsten Brönstrup
Abteilungsleiter Presse und Kommunikation, Pressesprecher
Carsten
Brönstrup
Telefon:
+49 30 31005-114
Telefax:
+49 30 31005-166
E-Mail:
Broenstrup [at] uvb-online.de