Die neue Stimme der Wirtschaft
Die Amtszeiten seiner Vorgänger wird Alexander Schirp nicht erreichen. Hartmann Kleiner führte den Spitzenverband der (West-) Berliner Wirtschaft 26 Jahre, von 1981 bis 2007, anschließend kam Christian Amsinck auf 16 Jahre. Jetzt also Schirp. Der 1966 in Hannover geborene Jurist übernimmt am 1. Oktober die Geschäftsführung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Es bleiben also nur noch zehn Jahre bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter. Vielleicht geht es aber doch noch länger. Auch wegen des Arbeitskräftemangels plädieren Arbeitgeberverbände für einen späteren Rentenbeginn. Arbeitszeitverkürzungen wie die Vier- Tage-Woche findet Schirp abwegig. „Wir haben jetzt schon zu wenige Leute. Die Diskussion passt überhaupt nicht in die Landschaft.“ Auf dem Arbeitsmarkt kennt er sich aus.
Die Arbeitsbedingungen bei den Unternehmensverbänden sind offenkundig attraktiv, Amsinck war seit 1990 für den Dachverband tätig und Schirp ist es seit 1995. Der Jurist begann als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Potsdamer Büro des Verbandes. „Es war alles im Werden damals“, erinnert sich Schirp im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
„Als Arbeitsrechtler konnte ich überprüfen, ob die Theorie auch in der Praxis funktioniert.“ Er hat Firmen beraten und „ordentlich Kilometer gemacht im Land Brandenburg“. Das Arbeitsrecht habe er „rauf und runter“ angewendet, zumal 2003 als die IG Metall in einem Arbeitskampf die 35-Stunden-Woche im Osten durchsetzen wollte. „2003 war aufregend“, erinnert sich Schirp.
Kürzer arbeiten im Osten
Und er erinnert sich gern, denn die IG Metall verlor den Kampf. Erst 2021 erreichte die Gewerkschaft einen mehrjährigen Stufenplan zur Angleichung der Arbeitszeit an Westniveau. „Alles hat seine Zeit. 2003 passte das nicht, 2021 schon“, sagt Schirp. Mit der längeren Wochenarbeitszeit hatten die Metallbetriebe im Osten einen Standortnachteil im Wettbewerb um Arbeitskräfte. „Die Arbeitnehmer haben sehr gute Karten“, sagt der neue UVB-Chef, der auch den Verband der regionalen Metallindustrie (VME) hauptamtlich führt. Der VME ist der Tarifpartner der IG Metall für Berlin und Brandenburg.
Zu den Traditionen der Berliner Verbände gehört die Besetzung des ehrenamtlichen Präsidentenamtes mit einem Siemens-Manager. Siemens, 1847 in Berlin gegründet, verlegte den Unternehmenssitz aufgrund der Berlin- Blockade 1949 nach München. Mit Werken in Siemensstadt und Moabit ist der Konzern aber noch immer ein großer industrieller Arbeitgeber. Der Siemens-Personalmanager Stefan Moschko amtiert seit zwei Jahren als UVB- und VME-Präsident. „Stefan Moschko macht sehr viele Meter, gerade auch in Brandenburg“, beschreibt Schirp das Engagement des Präsidenten.
Das Besondere der Verbände ist die länderübergreifende Organisation. Die UVB spricht in Berlin und Brandenburg für Betriebe mit einer Million Beschäftigte. „Nach der Wiedervereinigung trugen die Arbeitgeberverbände maßgeblich zum Zusammenwachsen der Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg bei“, gratulierte der damalige Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt 2010 zum 60. Geburtstag der UVB. 1950 hatten sich die Berliner Arbeitgeber „unter denkbar schwierigen Voraussetzungen“ neu organisiert und die „Zentralvereinigung Berliner Arbeitgeberverbände“ gegründet, die Vorläuferorganisation der UVB.
Ärger über Ausbildungsumlage
„Wir vermitteln, warum eine dynamische Wirtschaft relevant und unverzichtbar ist“, heißt es bei der UVB, die mit dem Slogan „Starke Wirtschaft, starke Stadt“ wirbt. Schirps Job, unterstützt von 50 Mitarbeitenden in Berlin, Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder): Gegenüber Politik und Verwaltung, Sozialversicherungsträgern, Gewerkschaften und der Öffentlichkeit die Interessen der Wirtschaft vertreten.
Das gelingt mal besser, mal schlechter. Wider Erwarten konnten die Wirtschaftslobbyisten nicht Kai Wegner gewinnen für die Ablehnung der Ausbildungsumlage. Das Instrument kommt 2025, wenn bis dahin nicht 2000 zusätzliche Ausbildungsverträge vorliegen. „Irre schwer“ sei das zu erreichen, sagt Schirp, weil die Nachfrage fehlt. „Auch in diesem Herbst war es wieder so, dass viele Ausbildungsbetriebe keine Bewerberinnen und Bewerber gesehen haben.“
Die Politik, gemeint sind die Senatsverwaltungen für Bildung und Arbeit, müssten die Voraussetzungen schaffen, vor allem in der Berufsorientierung, „damit es überhaupt eine Chance gibt für 2000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsverträge“. Bei der Senatsklausur am 10. Oktober soll es dazu Verabredungen geben. „Es muss etwas kommen, denn sonst fühlen wir uns veräppelt“, sagt Schirp dem Tagesspiegel.
Trotz Ausbildungsumlage freut sich Schirp wie die meisten Wirtschaftsvertreter über die Besetzung des Roten Rathaus mit einem CDU-Bürgermeister nach 22 Jahren SPD. „Wir sind ganz angetan vom neuen Senat, der versucht, Politik für die Stadt zu machen und Probleme zu lösen.“ In der vorherigen Koalition sei das anders gewesen, da „man sich nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gegönnt hat“.
Brandenburg läuft wirtschaftlich super, im ersten Halbjahr gab es hier das größte Wachstum. „Brandenburg hat jetzt die Chance, sich zu einem strukturstarken Industrieland zu entwickeln“, glaubt Schirp und warnt vor der AfD. „Unabdingbar dafür sind Toleranz und Offenheit.“